Optometrie ist in den englischsprachigen Ländern ein Beruf, der Berufsinhalte aus der Augenoptik (zum Beispiel Brillenglasbestimmung) und aus der Augenheilkunde (beispielsweise Diagnose von bestimmten Augenerkrankungen) vereint.
Vor ungefähr 80 Jahren begannen sich die ersten Optometristen zu fragen, ob bestimmte Sehschwierigkeiten allein durch einen „Fehler“ der Augen erklärt werden können oder ob nicht auch die Bedingungen, unter denen unser Sehsystem funktionieren muss, für die Entwicklung des Sehens eine Rolle spielen können. So stellte man fest, dass der Grad an Kurzsichtigkeit mit der Intensität und zeitlichen Dauer von Naharbeit zusammenhängt. Die Funktional-Optometrie unterscheidet demnach zwischen strukturellen Sehproblemen (die Gewebe des Auges oder der nachgeschalteten Nerven innerhalb des Sehsystems sind gegenüber dem „Normalzustand“ verändert) und funktionellen Sehschwierigkeiten (die Gewebe sind vollkommen normal, aber die Arbeitsweise = Funktion ist ineffizient oder unterliegt schneller Ermüdung).
Zwei Grundannahmen sind in der Funktional-Optometrie von besonderer Bedeutung. Wenn ein Kind geboren wird, sind auch die Augen schon „angeschaltet“, das heißt, sie nehmen schon Lichtimpulse auf. Trotzdem verfügt ein Neugeborenes noch nicht über das, was wir „Sehen“ nennen. Sehen bedeutet nämlich nicht nur „scharfe Sicht“, sondern: „ich kann die Bedeutung eines Gegenstandes verstehen, ohne dass ich hingehen und ihn anfassen muss“. Sehen in diesem Sinne ist also nichts, was uns angeboren ist, sondern was sich erst entwickeln muss. Der Auslöser und Begleiter dieser Entwicklung ist dabei die sich gleichsam entwickelnde Motorik des Kindes.
Die zweite Grundannahme besagt, dass der Sehvorgang nicht einfach nur eine passive Abbildung ist, wie zum Beispiel bei einem Fotoapparat, sondern es handelt sich um eine aktive Leistung, eine Fähigkeit unseres Organismus, die sich wiederum aus verschiedenen Teilfähigkeiten zusammensetzt. Man kann das vergleichen mit sportlichen Leistungen. Die Fähigkeit „Fußball spielen“ ist auch keine Fähigkeit an sich, sondern setzt sich aus den verschiedensten Teil-Fähigkeiten zusammen, wie etwa Technik, Ausdauer, Schnelligkeit, Zweikampfverhalten, Kopfballspiel oder Torabschluss. Genauso können die Teilfähigkeiten im Sehen in vier große Bereiche eingeordnet werden:
Jeder dieser Bereiche muss für sich genommen effizient funktionieren. Aber auch untereinander müssen die einzelnen Bereiche gut miteinander harmonieren, damit das Endergebnis (Sehen) optimal ist. Tritt an irgendeiner Stelle des Prozesses eine Störung auf, zum Beispiel durch sogenannten „Nahstress“, so wird das Ergebnis eingeschränkt sein.
Es werden zwei große Bereiche von möglichen Ursachen für eine Störung im Sehprozess unterschieden: zum einen stressbedingte Sehprobleme, auf der anderen Seite entwicklungsbedingte Sehprobleme. Unter letzteren versteht man Veränderungen im Sehvorgang, die von einer abweichenden allgemeinen Entwicklung eines Kindes im Kleinkindalter herrühren. Ein Bespiel, was recht häufig vorkommt, ist das Überspringen der Krabbelphase. Kinder, die diese Stufe der motorischen Entwicklung nicht ausgiebig genug praktiziert haben, zeigen später oft Veränderungen in der Zusammenarbeit beider Augen.
Die Untersuchung des Sehvorgangs auf mögliche funktionelle Störungen ist wesentlich aufwendiger als eine gewohnte Bestimmung der Brillenglasstärken, weil die verschiedenen Teilfähigkeiten im Sehen getrennt beurteilt werden müssen.
Hat man die Ursache des Sehproblems durch diese detaillierte Prüfung der Sehfähigkeit ermittelt, stehen verschiedene Optionen zur Auswahl.
Was für den jeweiligen Kunden richtig ist, muss in jedem Fall individuell entschieden werden. Eine Brille liefert oft schnelle Erleichterung, ändert aber nichts an der eigentlichen Ursache. Visualtraining braucht dagegen eine gewisse Zeit, bis sich Erfolge einstellen.
Entscheidet sich ein Kunde für Visualtraining, sind Termine in ein- oder mehrwöchigem Rhythmus in unseren Praxisräumen notwendig, bei denen gemeinsam mit mir Übungen gemacht werden. Außerdem werden Hausaufgaben aufgegeben, die am Tag ungefähr 10 Minuten in Anspruch nehmen. Diese Zeit ist sehr wichtig, damit die neuerworbenen Fähigkeiten zu einer Gewohnheit werden, wodurch sie auch im Alltag angewendet werden können. Die Dauer eines solchen Training schwankt je nach Problemstellung, meist erstreckt es sich aber über einen Zeitraum von 20 Terminen.